Public History in der Lehre

Organizer(s)
Christian Bunnenberg, Ruhr-Universität Bochum; Irmgard Zündorf, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Location
Bochum
Country
Germany
From - Until
02.12.2019 - 03.12.2019
Conf. Website
By
Susanne Becker/ Mia Berg/ Elena Lewers/ Andrea Lorenz/ Theresa Sisnaiske, Ruhr-Universität Bochum

Bereits zum vierten Mal nach 2013, 2015 und 2017 fand der Workshop „Public History in der Lehre“ der AG Angewandte Geschichte/Public History des VHD statt, diesmal an der Ruhr-Universität Bochum. Ziel des Workshops war ein Austausch über bestehende und geplante Studienangebote im deutschsprachigen Raum. Neben Lehrenden und Studierenden der Hochschulen waren auch Praktiker/innen aus verschiedenen geschichtsvermittelnden Institutionen eingeladen. In insgesamt vier Sektionen wurden verschiedene Studienangebote verglichen und reflektiert sowie Erwartungen und Anforderungen der Praxis an die Absolvent/innen diskutiert.

Zu Beginn stellten die Vertreter/innen der bereits etablierten deutschen Public History-Studienangebote ihre Programme vor. IRMGARD ZÜNDORF (Potsdam/Berlin) ist Koordinatorin des seit über zehn Jahren an der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam laufenden Public History-Masters. In diesem Masterprogramm sind die theoretischen und praktischen Anteile gleich gewichtet, wobei ein Epochenschwerpunkt in der Zeitgeschichte liegt, so Zündorf. Es stehe die Verbindung von Geschichtswissenschaft, Geschichtsdidaktik und Medienwissenschaft im Vordergrund: So lernten die Studierenden Medien verschiedener Art als Quellen, aber auch als Vermittlungsinstrumente zu betrachten. Zudem könnten sie sich im affinen Bereich weitere Kompetenzen aneignen. Die Abschlussquote sowie die Nachfrage von Museen und Gedenkstätten nach Praktikant/innen aus dem Studiengang sei hoch. Für die Zukunft soll die Internationalisierung des Studiengangs in Form von Workshops und englischsprachigen Lehrveranstaltungen vorangetrieben werden.

CHRISTIAN BUNNENBERG (Bochum) wies auf die positiven Aspekte eines strukturierten Master-Studiengangs hin, da Studierende in Bochum die Module des Public History-Anteils am Masterprogramm als Kohorte durchlaufen. Der Studiengang biete aber zugleich auch eine individuelle Vertiefung im geschichtswissenschaftlichen Anteil an, Epochenschwerpunkte könnten frei belegt werden und es bestehe die Möglichkeit, einen Doppelabschluss mit einem anderen M.A. oder dem M.Ed. zu erlangen. Ein weiterer Schwerpunkt des Masterprogramms sei eine intensive Auseinandersetzung mit der Praxis. Neben einer Praktischen Übung erhielten die Studierenden in einer Ringvorlesung durch Public Historians Einblicke in Berufsfelder. Zudem sei ein Praxissemester vorgesehen. Die Betreuung der Studierenden sei durch die strukturierte Anlage des Masterprogramms sehr eng und führe zu einer hohen Abschlussquote.

CHRISTINE SZKIET (Luzern) stellte den Studiengang „Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung“ vor, der an der Pädagogischen Hochschule angesiedelt ist. Der Joint-Degree-Studiengang sei theoriebasiert, praxis- und projektbezogen. Inhaltlich sei der Studiengang auf Geschichtsdidaktik, Geschichts- und Erinnerungskulturen ausgerichtet und biete ein Modul in der Public History an. Sie merkte jedoch an, dass das Angebot aus pragmatischen Gründen hätte eingeschränkt werden müssen. Es sei auch möglich, den Studiengang ohne einen Bacherlorabschluss in Geschichte zu studieren.

CHRISTINE GUNDERMANN (Köln) stellte den Masterschwerpunkt Public History vor, der im Geschichts-Master alternativ zu einem epochalen und regionalen Zuschnitt (im Bereich der neueren Geschichte) gewählt werden kann. Nach dem Lehramtsstudium sei er der zweiterfolgreichste Masterschwerpunkt im Geschichtsstudium an der Universität zu Köln. Es würden Blended Learning-Lehrveranstaltungen und internationale Kooperationen angestrebt. Alternativ zu einem „klassischen“ Praktikum könnten die Studierenden ein längerfristiges Projekt an der Universität bearbeiten.

CORD ARENDES (Heidelberg) hat die Professur für Angewandte Geschichtswissenschaft / Public History an der Universität Heidelberg inne. Statt eines Masterprogramms gibt es dort einen Studienschwerpunkt, der eine hohe Flexibilität des Studiums im Bereich Public History ermögliche. Durch eine fehlende Abgrenzung zum regulären Geschichtsstudium biete sich die Möglichkeit, Public History frei im eigenen Studienplan zu integrieren. Der epochale Schwerpunkt der Veranstaltungen in Public History liege in der Neueren und Neusten Geschichte.

Insgesamt wurden alle Studiengänge als erfolgreich eingeschätzt, jedoch zeigten sich standortübergreifend ähnliche Schwierigkeiten. Häufig fehlten langfristige Finanzierungen und Nachhaltigkeitsstrategien bzw. eine personelle Ausstattung für eine dauerhafte Etablierung der Public History als Studienfach. Im Anschluss diskutierten Praktiker/innen aus verschiedenen Berufsfeldern die Potenziale von Public History-Studiengängen sowie die (notwendigen) Kompetenzen der Absolvent/innen in Bezug auf die Anforderungen in den jeweiligen Bereichen.

BEATE SCHLANSTEIN (Köln) betonte, dass für die inhaltliche Arbeit beim WDR vor allem journalistische Kompetenzen mitgebracht werden müssten. Um das journalistische Handwerk zu erlernen, sei es zudem wichtig, Fach- und Medienwissen miteinander verschränken zu können. Die Fähigkeiten, die durch ein Public History-Studium erworben werden, wurden als gut, aber nicht ausreichend angesehen. Zusätzlich seien v.a. technische und praktische Erfahrungen unabdingbar.

JAN-ERIK SCHULTE (Hadamar) hob Fachwissen als entscheidende Kompetenz für die Arbeit in Gedenkstätten hervor. Von den Absolvent/innen der Public History-Studiengänge erwarte er, dass diese einen kritischen Umgang mit öffentlicher Geschichte in Institutionen pflegten und sich aktueller Geschichtsthemen bewusst seien. Der Masterabschluss ersetze das Volontariat nicht, sei aber ein sehr guter Einstieg in die Arbeit in der Gedenkstätte. Schulte hob zudem die Notwendigkeit eines Dialogs von Forschung und Praxis hervor, der für die Weiterentwicklung der universitären Lehre wichtig sei.

Auch von DIETMAR OSSES (Bochum) wurde das Volontariat als unabdingbare Voraussetzung für die Arbeit in Museen betrachtet. Idealerweise sollten Bewerber/innen bereits vor dem Volontariat Erfahrungen mit Museumsarbeit sammeln. Ähnlich wie Schulte sah er das Public History-Studium als gute Voraussetzung für den reflektierten Umgang mit Geschichtskultur. Ebenso wichtig seien zudem fachwissenschaftliche Kenntnisse.

Für THOMAS PRÜFER (Köln) waren Volontariat oder Promotion keine zwingenden Voraussetzungen für die Arbeit in Geschichtsagenturen, vielmehr liege der Fokus dort auf praktischen Erfahrungen sowie Begeisterung und Engagement für das Fach. Wichtig für die Arbeit in einem Geschichtsbüro sei zudem die Kompetenz, Dinge visuell und sprachlich ansprechend aufzubereiten, was Inhalt eines Public History-Studiengangs sein sollte.

Auffällig war insgesamt, dass das Volontariat für die meisten Arbeitsfelder als eine notwendige Voraussetzung für den Berufseinstieg betont wurde. Den Public History-Studiengängen wurde die Fähigkeit zugeschrieben, die Absolvent/innen zu kritischem und geschichtsbewusstem Denken anzuleiten und somit eine gute Grundlage zu geben, auf der jedoch noch weiter aufgebaut werden müsse. In einer weiteren Sektion wurden sowohl neue und gerade gestartete Public History Programme als auch ältere, ähnliche Studienangebote vorgestellt.

Das von BERNHARD LÖFFLER (Regensburg) vorgestellte Modell des Kombistudiengangs “Public History und Kulturvermittlung” öffnet das Feld für Studierende der Geschichts- und Kulturwissenschaften. Der Studiengang, der seit Wintersemester 2018/19 läuft, basiert auf einer engen Zusammenarbeit mehrerer Lehrstühle. Weitere Kooperationen ergäben sich über ein großes Netz musealer Partnerinstitutionen. Der breite Zugriff auf den Umgang mit Geschichte in der Öffentlichkeit bedeute auch, dass es sich nicht um einen dezidiert historischen Master handele. Ähnlich wie in Berlin sei dieser Studiengang vergleichsweise stark vorstrukturiert und biete daher nur wenige Wahlmöglichkeiten für die Studierenden.

MARTIN OTT (Bayreuth) stellte den Studiengang „Geschichte in Wissenschaft und Praxis” vor. Dieser solle den Geschichtsmaster langfristig ersetzen. Ziel sei es, Studierende auf Promotion und Praxis gleichermaßen vorzubereiten. Dies erfolge über Projekte und projektbezogene Kurse, die mit auswärtigen Partnern (Museen, Archive u.w.m.) gemeinsam getragen werden. Der Austausch erfolge darüber hinaus mit Kolleg/innen anderer Fachrichtungen, um ein breites Feld der Weiterbildung und Vertiefung zu ermöglichen.

THEKLA KEUCK (Bremen) stellte die Studienschwerpunkte „Kultur und Geschichte” sowie “Geschichte in der Öffentlichkeit” vor. Das Bremer Modell sei relativ flexibel gehalten und lebe ebenfalls von Kooperationen mit außeruniversitären Partnern. Durch diese könnten die Studierende eigene, an reale Gegebenheiten angepasste Arbeiten und Produkte erarbeiten. Projekte würden über Kooperations-Professuren getragen. Durch das große Lehrdeputat baut Keuck zudem einen Schwerpunkt “History und Marketing” auf. Der vergleichsweise kleine Schwerpunkt ermögliche Studierenden nahezu eine Eins-zu-Eins-Betreuung.

THORSTEN LOGGE (Hamburg) stellte einen Studienschwerpunkt vor, in dem besonders berufsqualifizierende Kompetenzen vermittelt würden. Die zwei wesentlichen Ziele seien die Vermittlung des analytischen Umgangs mit allen medialen Erscheinungsformen von Geschichte und die Entwicklung solcher Produkte. Die Studierenden könnten in Form von Werkstätten bspw. im Game- oder Broadcasting-Lab eigene Projekte durchführen. Public History werde zudem in Form von Praxismodulen an die Studierenden herangeführt. Gemeinsame Projekte und Kooperationen ergäben sich mit der Hochschuldidaktik und externen Partnern in Hamburg.

Als letzten Standort stellte ULRIKE WECKEL (Gießen) den Studiengang „Fachjournalistik Geschichte” vor, der sowohl im Bachelor als auch im Master angeboten wird. Die Studierenden würden an Geschichte in Medien und Öffentlichkeit herangeführt und sollen über Exkursionen und den Aufbau eines Portfolios Praxiseinblicke erhalten. Weckel betonte, dass der Fachjournalismus zwar wesentlicher Bestandteil des Studiengangs sei, dieser aber nach wie vor ein Geschichtsmaster sei.

Innerhalb der neueren Studiengänge und -zweige fiel auf, dass diese als Alternative zum klassischen Geschichtsmaster wahrgenommen werden. Der Praxisanteil ergibt sich über (erfolgreiche) Kooperationen, die über Universitäts- und Stadtgrenzen hinausgehen können. Allerdings sind auch hier Hindernisse wie unklare Finanzierung und fehlendes Personal bekannt.

Zu einer Erweiterung der Perspektive trug ANDREAS FICKERS (Luxembourg) mit einem Abendvortrag zu den Potenzialen einer digitalen Public History bei. Die Geschichtswissenschaften hätten eine große gesellschaftliche Relevanz, seien aber in ihren Arbeitsweisen noch zu sehr in analogen Denk- und Arbeitsmustern verankert. Fickers forderte daher eine Erweiterung der geschichtswissenschaftlichen Hermeneutik, um analoge Vorgaben mit digitaler Arbeitspraxis zu verbinden. Geschichtswissenschaftler/innen sollten offen sein, mit digitalen Möglichkeiten zu experimentieren und diese zu reflektieren. Die „doppelte Selbstreflexion“ der Geschichtswissenschaftler/innen sei eine zentrale Kategorie, die das Verstehen von Geschichte als sich wandelndem Prozess mitberücksichtige. Insgesamt fehle es aber an einer „digitalen Hermeneutik“ für die Arbeit mit und über digitale Geschichtsvermittlung. Entgegen der Annahmen öffne sich die Public History nicht ausreichend für die breite Öffentlichkeit und bleibe zu sehr in ihren eigenen (akademischen) Sphären. Dazu brauche es eine Systematik der Shared Authority und die Bereitschaft, Forschungsergebnisse auch Open Source zu veröffentlichen.

Die Erfahrungsberichte eingeschriebener und ehemaliger Studierender der Universitäten Berlin, Bochum, Köln und Luzern verdeutlichten sowohl die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der einzelnen Studienangebote als auch die Herausforderungen der universitären Public History. Die Bilanz der Studierenden fiel dabei insgesamt positiv aus. Standortübergreifend wurden vor allem der hohe Praxisanteil sowie die überwiegend gute Vernetzung mit geschichtskulturellen Institutionen vor Ort hervorgehoben. Darüber hinaus regten die Studierenden an, Geschichte und Konzepte der Public History, auch in transnationaler Perspektive, zukünftig stärker zu thematisieren sowie den praktischen Teil zugunsten einer stärkeren Methodenreflexion weiter auszubauen. Damit verbunden wurde die Frage nach Rolle und Anteil der Fachwissenschaft an den Studiengängen. So hoben die Studierenden zwar die Bedeutung der Fachwissenschaft für ihre Professionalisierung hervor, forderten jedoch eine engere Verzahnung mit der Public History. Konkrete Anregungen für die zukünftige Gestaltung der Studienangebote gab es vor allem hinsichtlich der Vernetzung der Studierenden untereinander, die durch die Etablierung jahrgangsübergreifender Kolloquien erreicht werden könnte. Vorgeschlagen wurden außerdem flexiblere Prüfungsformen bei projektbezogenen (Abschluss-)Arbeiten, die stärker die praktischen Produkte berücksichtigten, sowie die Möglichkeit, statt eines Praktikums ein Jahrgangsprojekt umsetzen zu können. Dies könnte aus Sicht der Studierenden die Einbindung des Praktikums in den Studienverlauf erleichtern. Insgesamt zeigten die Berichte der Studierenden den Wunsch nach einer stärkeren Verortung der Public History – modular, methodisch, (fach)wissenschaftlich, international und institutionell.

Ein zentraler Teil der Abschlussdiskussion war die Frage nach den Skills und Qualifikationen, die Public History-Absolvent/innen haben sollten. Dabei wurde deutlich, dass es nicht darum geht, fertige Praktiker/innen auszubilden, sondern den Studierenden Handwerkszeug mitzugeben, mit dem diese in vielfältige Arbeitsgebiete einsteigen können. Ziel eines Studiums sollte eine reflektierte Geschichtsvermittlung und ein Bewusstsein von Techniken sein. Aufgrund der sich ständig weiterentwickelnden Anforderungen wurde davor gewarnt, starre Zielkompetenzen zu formulieren.

Die Studierenden wiederholten in der Abschlussdiskussion die Forderung nach mehr „praktischer“ Arbeit innerhalb des Studiums. Ob diese nun in Form außeruniversitär geleiteter Projekte oder in inneruniversitären Kooperationen realisiert werden könnte, wäre standortbezogen zu klären. Dabei wurde die Frage in den Raum gestellt, inwieweit eine Spezialisierung der Angebote eine sinnvolle Alternative zum Versuch einer breiten Abdeckung aller Fragestellungen und Kompetenzen an allen Standorten sein könnte. Zum Ende wurde die Zukunft des Faches diskutiert, da die meisten Studiengänge durch Lehrkräfte mit befristeten Stellen (u.a. Bochum, Köln, Hamburg) betreut werden und eine langfristige Etablierung der Angebote so nicht garantiert sei. Gerade in Bezug auf die während des Workshops erneut deutlich gewordene hohe Motivation und Innovationsbereitschaft auf lernender und lehrender Seite sei dies eine dringend zu klärende Frage für hochschulpolitische Entscheidungsträger.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung: Christian Bunnenberg (Bochum) / Irmgard Zündorf (Berlin)

Bilanz der „älteren“ Public History-Studienangebote

Irmgard Zündorf (Potsdam/Berlin)
Christian Bunnenberg (Bochum)
Christine Szkiet (Luzern)
Christine Gundermann (Köln)
Cord Arendes (Heidelberg)

Erwartungen aus der Praxis an die Public History

Dietmar Osses (LWL-Industriemuseum)
Jan Erik Schulte (Gedenkstätte Hadamar)
Beate Schlanstein (WDR)
Thomas Prüfer (Geschichtsbüro)

Abendvortrag
Andreas Fickers (Luxembourg): Digital Public History in Luxembourg

Ausblick auf weitere Public History-Studienangebote

Bernhard Löffler (Regensburg)
Martin Ott (Bayreuth)
Thekla Keuck (Bremen)
Thorsten Logge (Hamburg)
Ulrike Weckel (Gießen)

Public History studieren – Reflexionen von Studierenden und Absolvent/innen

Helen Wagner (Erlangen-Nürnberg, früher FU Berlin)
Elena Lewers und Susanne Becker (Bochum)
Aiko Hillen (Köln)
David Schärli (Luzern)

Abschlussdiskussion: Konkurrenz oder Kooperation? Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Dozierenden, aber auch Studierenden der verschiedenen Studienangebote


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